Mein 50 Kilometer Überlandflug
Jedes Jahr im Sommer fährt unser AERO-CLUB zu einem dreiwöchigen Sommerlehrgang nach Amboise-Dierre in Frankreich. Seit 1984 findet dieses Fliegerlager während der Schulsommerferien regelmäßig statt. Durch die Partnerschaft der Städte Mülheim und Tours werden seit Jahrzehnten enge Kontakte mit dem französischen Verein vor Ort, Les Ailes Tourangelles, gepflegt.
In diesem Jahr stand in meiner Ausbildung zur Segelfluglizenz der 50 Kilometer Überlandflug an. Dabei kommt es neben der Flugzeugbeherrschung und thermischen Verständnis auch auf Navigation und Strategie an. Bei uns im Verein wird dieser Ausbildungsabschnitt in der Regel in Frankreich absolviert: Die guten thermischen Bedingungen und die großzügigen Luftraumstrukturen begünstigen dort den Streckensegelflug. Ich hatte die ganze Zeit gehofft, dass der Sommerlehrgang noch stattfinden könnte und Corona uns keinen Strich durch die Rechnung macht. Zum Glück brachen wir dann letztendlich doch noch für 3 Wochen unter Einhaltung strenger Hygiene- und Schutzmaßnahmen nach Frankreich auf. Die Motorflugzeuge (zum Schleppen der Segelflieger) und Motorsegler fliegen die Strecke selbstständig. Unsere Segelflugzeuge wurden hingegen in Anhänger verfrachtet und mit dem Auto gezogen. Ich flog mit Nicolas zusammen in einem unserer Schleppflugzeuge (Piper PA18) nach Frankreich. Mit uns zusammen flogen ein weiteres Schleppflugzeug und ein Motorsegler. Wir tankten einmal auf halben Weg in Épernay und landeten nach insgesamt 4 Stunden und 39 Minuten Flugzeit auf dem kleinen französischen Flugplatz Amboise-Dierre.
Zur Vorbereitung auf den Streckensegelflug gehören auch mehrere Überlandflugeinweisungen. Nach ein paar Tagen vor Ort – ich hatte schon wieder einige Trainingsstarts absolviert – begann ich mit Konrad die erste Einweisung inklusive einiger Außenlandeübungen: Da Segelflieger nur in Abhängigkeit von dem Wetter Strecken zurücklegen können, kommt es hin und wieder vor, dass zum Beispiel auf Grund von fehlender Thermik frühzeitig und noch vor Erreichen des Zielflugplatzes auf einem Feld oder Acker gelandet werden muss. Dabei handelt es sich nicht um eine Notlandung, sondern um eine kontrollierte Außenlandung, die in der Regel ohne Schäden an Piloten, Flugzeug oder Feld abgewickelt wird. Dies trifft insbesondere zu, wenn es vorher geübt wird. Obwohl ich Segelflieger bin, kann man diesen ersten Teil der Überlandflugeinweisungen auch in einem unserer Motorsegler fliegen.
Deshalb nahmen Konrad und ich an diesem Tag in unserer ASK 16 Platz. Meine erste Aufgabe: Mit Luftfahrtkarte, Kompasskursen, Bodenmerkmalen und ohne GPS in der Luft zu navigieren. Deshalb sollte ich nach dem Start zunächst einmal nach Süden (nach Châtellerault) fliegen. Ich lernte schnell, dass gute Orientierungshilfen zum Beispiel Seen, Autobahnen, Flussgabelungen oder Städte sind. Auch schauten wir uns auf dem Hinweg schon einmal mögliche Außenlandefelder an, um diese auf dem Rückweg als Übung anzufliegen. Nachdem ich den Weg bis nach Châtellerault gefunden hatte, flogen wir wieder Richtung Heimat. Irgendwann nahm Konrad das Gas raus und simulierte so, dass keine Thermik mehr vorhanden sei. Dann sollte ich mir ein geeignetes Feld suchen und den Landeanflug beginnen. Irgendwann schob Konrad das Gas wieder rein und wir stiegen erneut. Dieses Verfahren übten wir einige Male und flogen auf dem Rückweg unfreiwillig einen kleinen Umweg, da ich navigatorisch nicht sofort den richtigen Kurs fand. Nach einer Stunde und vierzig Minuten landeten wir wieder auf dem Flugplatz in Amboise-Dierre.
Am nächsten Tag sollte es für mich mit Christian und einem doppelsitzigen Segelflugzeug (Janus CT) auf den zweiten Teil der Streckenflugeinweisung gehen. Dieses Mal nach Osten, zum 58 Kilometer entfernten Flugplatz Romorantin. Eine Standardstrecke, die auch ich sehr wahrscheinlich nach den Einweisungen abfliegen würde. Auf das gute Wetter wartend starteten wir erst gegen 15:00 Uhr. Ich klinkte direkt in einer guten Thermik aus und ‚kurbelte‘ uns so bis auf 1.000 m hoch. Dann flogen wir ab Richtung Montrichard, wo wir noch einmal Höhe gewinnen wollten, da der Luftraum es dort zulässt, etwas höher zu fliegen. Wir flogen in niedriger Höhe zu einem Gebiet, in dem wir uns Steigen erhofften – ein Industriegebiet auf einer kleinen Anhöhe, das vom Wind angeströmt wurde. Tatsächlich konnten wir uns dort nach 15 Minuten bis auf 1.300 Metern hocharbeiten und flogen anschließend weiter am Fluss Cher entlang. Eine einfache Navigationshilfe – eine sogenannte Leitlinie – auf dem Weg zum Zielflugplatz Romorantin.
Und genauso funktioniert der Streckenflug im Segelflugzeug: Man gewinnt in warmen, aufsteigenden Luftmassen (der sogenannten „Thermik“) an Höhe, die man dann wiederum in Flugstrecke umsetzen kann. Wenn man wieder tiefer gekommen ist, beginnt erneut die Thermiksuche. Dieses Wechselspiel zwischen Steigen in der Thermik und Vorfliegen kann sich viele Male während eines Streckensegelfluges wiederholen.
Kurze Zeit später überflogen wir bereits die Silos: eine markante Stelle und gute Orientierungshilfe auf dem Weg nach Romorantin. Ab da macht der Fluss Cher einen Knick nach Süden und wir folgten nun der Autobahn weiter Richtung Osten. Anderenfalls wären wir südlich am Zielflugplatz Romorantin vorbeigeflogen. Kurz vor Erreichen des Platzes drehten wir wieder um. Auf dem Rückweg kamen wir recht entspannt und hoch wieder nach Hause zurück. Dies gab uns Zeit, mir erneut die Route einzuprägen und uns über Taktik und Strategie zu unterhalten. Am Heimatplatz angekommen entschieden wir uns, noch einmal nach Süden abzufliegen. Als Wendepunkt sollte dieses Mal der kleine Flugplatz Le Louroux dienen.
Eine große Ablösung, die sich in einer Staubwolke von den Feldern hob, brachte uns auf 1.550 Meter und bescherte uns ein schönes und einfaches Ende für meine zweite Streckenflugeinweisung.
Zwei Tage später hieß es dann, dass ich jetzt mit einem einsitzigen Segelflugzeug meinen 50 Kilometer Streckenflug angehen soll. An diesem Tag war die gute Cumulantenthermik erst für den Nachmittag prognostiziert. Deshalb startete ich erst gegen 14:00 Uhr. Nach dem Ausklinken in 600 m Höhe ‚schraubte‘ ich mich in Platznähe zunächst einmal an die Luftraumgrenze hoch. Jetzt war der Zeitpunkt gekommen, um Richtung Romorantin abzufliegen. Zunächst verlief also alles nach Plan. Doch je weiter ich mich vom Flugplatz entfernte, desto tiefer kam ich und fand auch keine Thermik mehr. Wie vor zwei Tagen kam ich in Montrichard recht tief an. Aber da der Wind ähnlich war, versuchte ich dieselbe Stelle wie beim Flug mit Christian zu finden, mit Erfolg. Das Variometer, welches mir anzeigt, mit wie viel Metern pro Sekunde ich steige oder sinke, zuckte und ich kreiste ein. Tatsächlich trug es mich wieder auf 1.200 Meter hoch. Auf einer Höhe von 800 Metern kam dann noch Tino in einem weiteren einsitzigen Segelflugzeug dazu. Tino befand sich ebenfalls auf seinem 50 Kilometer Überlandflug. Hinter den Silos sah ich eine fantastische Wolke und konnte mich so langsam auf die Endanflughöhe bringen. Über Romorantin angekommen, meldete ich mich im Funk auf französisch für die Piste 23 an, um wenige Minuten später dort zu landen. Nach der Landung kamen direkt einige Franzosen und halfen uns, die Flugzeuge aus der Bahn zu ziehen. Es war ein großartiges Gefühl, die über 50 Kilometer im Soloflug und nur mit der Kraft der Sonne zurückgelegt zu haben. Nach einer halben Stunde wurden wir von einem unserer Schleppflugzeuge abgeholt, welches zuerst mich und danach Tino wieder nach Amboise-Dierre zurück schleppte.
Der 50 Kilometer Überlandflug im Alleinflug ist ein wichtiger Schritt auf dem Weg zur Segelfluglizenz. Ich bin froh das in diesem Jahr während unseres Frankreichlehrganges geschafft zu haben. Zwei Monate später konnte ich in Mülheim meine praktische Prüfung erfolgreich absolvieren und bin nun im Besitz der Segelfluglizenz SPL.