So sah der Chatverlauf zwischen Konrad und mir eine Woche vor unserem Flug aus. Dass es zur Nordseeinsel Helgoland gehen sollte, hatten wir zu diesem Zeitpunkt noch nicht entschieden.
Erst ein paar Tage vor dem Flug waren die Wetterprognosen so eindeutig, dass wir uns auf ein Ziel festlegten und mit der Planung begannen. Unsere Wahl fiel auf Helgoland – die küstenfernste Insel Deutschlands und deshalb auch fliegerisch ein Erlebnis.
Konkret bedeutete das, 50km über die Nordsee und die deutsche Bucht zu fliegen … Rettungsschwimmwesten nahmen wir also schonmal mit an Bord.
Außerdem sind die Landebahnen des Flugplatzes mit ihren 480m bzw. 371m recht kurz (zum Vergleich Flughafen Essen/Mülheim knapp 1500m). Um das Flughafengelände herum schließt sich direkt der Strand an. Deshalb fordert Helgoland eine bestimmte Mindestflugzeit von Piloten, um die Insel anfliegen zu dürfen.
Darüber hinaus mussten wir einen sogenannten Flugplan für die beiden Flüge zur Insel und von der Insel weg aufgeben. Flugpläne beschreiben detailliert unser Flugzeug, Ausstattung und Rettungsequipment sowie unsere Flugzeiten. Primär wird dieser Flugplan für die Koordination mit den ‚Search and Rescue‘ (kurz: SAR) Diensten genutzt. Sollten wir nämlich zu einer bestimmten Zeit noch nicht auf Helgoland gelandet sein, könnte man anhand unseres aufgegebenen Flugplans gezielt nach uns suchen.
Am Vorabend gaben wir folglich unsere beiden Flugpläne bei der Deutschen Flugsicherung auf.
Grundlage dafür war eine genaue Flugplanung mit Kursen, Geschwindigkeiten und Wetterbriefing. Dafür nutzten wir unter anderem spezielle Luftfahrtkarten, um uns mit der Luftraumstruktur, die uns auf dem Weg nach Helgoland begegnen sollte, vertraut zu machen. Navigatorisch keine Herausforderung, war uns doch die Strecke nach Norden durch unsere zahlreichen Flüge nach Juist bereits sehr gut bekannt.
Nachdem wir zusätzlich bei Luftfahrtwetterdiensten Kennwerte wie Boden-, Höhenwinde und Luftdrücke ermittelt hatten, jonglierten wir ein bisschen mit den Zahlen. Das Ergebnis: ca. eine Stunde und 40 Minuten nach Helgoland, 50 Minuten zurück nach Leer Papenburg zum Tanken und weitere knappe zwei Stunden für den Heimflug nach Essen/Mülheim.
Um unsere Ergebnisse für den morgigen Flug übersichtlich zusammenzustellen, trugen wir diese zusammen mit den Start- und Landestreckenberechnungen und Kraftstoff- und Gewichtskalkulationen in den sogenannten Flugdurchführungsplan ein.
Auf Grund des guten Wetters entschieden wir uns möglichst früh loszufliegen. Wir hatten uns zwar telefonisch angemeldet, wollten aber dennoch dem Pilotenansturm im Zusammenhang mit den begrenzten Abstellflächen auf Helgoland zuvorkommen und uns um spätestens 11:00 Uhr im Anflug auf die Nordseeinsel befinden.
Im Umkehrschluss bedeutete dies, Samstagmorgens um 05:30 Uhr aufzustehen und um kurz vor 07:00 Uhr am Flughafen Essen/Mülheim einzutreffen, um mit den letzten Vorbereitungen zu beginnen.
Hallentore wurden aufgeschoben, der zweisitzige Reisemotorsegler (ASK 16) mit dem Hubzug von der Decke gelassen, zur Tankstelle vorgezogen, vollgetankt und unser Gepäck und Unterlagen verstaut.
Hier machte sich eine Fehlplanung des Tagestrips bemerkbar. Waren Samstag zwar in unserer Gegend Temperaturen bis zu 28° Celsius vorhergesagt, rechneten wir auf Helgoland mit einstelligen Werten und kräftigem Wind. So fand nicht nur Sonnencreme und Sonnenbrille den Weg ins Flugzeug, sondern auch Mütze und Winterjacke.
Auch die eingangs erwähnten Rettungsschwimmwesten wurden hervorgekramt und probeweise angelegt. Glücklicherweise waren wir durch zahlreiche Sicherheitsunterweisungen von Flugbegleitern in Passagierflugzeugen in das Anlegen und Bedienen selbiger sehr gut eingewiesen.
Wir entschieden uns dagegen die Westen erst im engen Cockpit ein paar Minuten bevor wir über das offene Wasser flögen anzulegen, sondern stiegen, nachdem wir unseren täglichen Checkrundgang ums Flugzeug abgeschlossen hatten, mit umgelegten Rettungswesten in das Flugzeug.
Auf dem linken Bein Kniebrett mit Karten, Flugdurchführungsplan und Tablet für die Navigation, auf dem Anderen die Checkliste, nach welcher Konrad nun begann das Flugzeug zu starten. Er saß links und ich saß rechts, womit er der verantwortliche Pilot auf dem Hinflug war.
Der Motor sprang an, wir rollten vor zur Asphaltbahn und nahmen Kontakt mit dem Flugleiter des Flughafens Essen/Mülheim auf. Nach den letzten Checks und dem Abschlussbriefing starteten wir pünktlich um kurz vor 09:00 Uhr.
Das Wetter präsentierte sich wie erwartet unproblematisch: strahlendblauer Himmel und kräftiger Rückenwind, sodass wir mit bis zu 230km/h der Nordsee entgegenflogen. Zusammen mit einem Spritverbrauch von 13 Litern die Stunde ergab sich folglich ein durchschnittlicher Spritverbrauch von 5,7 Litern auf 100km – ein Verbrauch-/Geschwindigkeitsverhältnis, welches jeden PKW in den Schatten stellt.
Wir sprachen mittlerweile mit den Lotsen von ‚Langen Information‘, die alle kleineren Flugzeuge über Mittel- und Süddeutschland überwachen. Sie gaben uns zum Beispiel Verkehrsinformationen von anderen Flugzeugen um uns herum, um diesen frühzeitig ausweichen zu können.
Unsere Route führte uns nördlich aus dem Ruhrgebiet heraus, über das Münsterland hinweg, westlich an Münster vorbei und an der Ländergrenze Deutschland-Niederlande stetig hinauf zur Nordsee.
Spätestens als wir mit den Lotsen des nördlichen Drittels (‚Bremen Information‘) kommunizierten, wurden wir in unserer Entscheidung, möglichst früh loszufliegen, bestätigt. Gefühlt jeder Pilot aus Deutschland wollte an diesem Wochenende auf eine der Nordseeinseln fliegen.
Wir ließen uns nochmal bei den Lotsen aus Bremen die Inaktivität einiger Militärbeschränkungsgebiete bestätigen und konnten somit direkt Kurs auf die Insel nehmen. Auf unserer linken Fläche befanden sich nun die Nordseeinseln von Borkum bis Langeoog, unter uns Spiekeroog und Wangerooge, vor uns die Nordsee. Ein beeindruckendes Bild präsentierte sich uns, um uns herum nur Blau.
Festland und Norseeinseln
Blick über die rechte Fläche des doppelsitzigen Reisemotorseglers während des Fluges über die Nordsee
Blick über die linke Fläche
Wir befanden uns mittlerweile auf 5500 Fuß, das sind umgerechnet knapp 1680 Meter. Genug, um bei einem Motorausfall über Wasser mit dem vorherrschenden Rückenwind die 45km bis zum Flugplatz auf Helgoland gleiten zu können.
Ein paar Minuten später war die Hauptinsel Helgoland mit ihrer Nebeninsel Düne, auf der sich auch der Flugplatz befindet, schon gut zu erkennen. Wir brieften anhand der Anflugkarten nochmals das Anflugverfahren. Die sogenannte Platzrunde, in die sich jeder Pilot einordnen muss, befindet sich über offenem Wasser. Deshalb konnten wir uns an keinen Bodenmerkmalen orientieren, sondern nutzten dafür das flugzeugeigene GPS-System.
Konrad meldete uns bei dem Flugleiter von Helgoland an, welcher uns in typisch norddeutscher offenherziger Art antwortete. Einige andere Flugzeuge befanden sich bereits vor uns im Landeanflug bzw. waren ebenfalls im Sinkflug auf die Platzrunde.
Querab von der Landebahn wurde das Fahrwerk ausgefahren und die 480 Meter kurze Asphaltpiste, die kurz nach dem von Robben belagerten Strand beginnt, angepeilt.
Kurz vor Landung auf dem Flugplatz Helgoland, auf der Nebeninsel Düne
Konrad setzte direkt am Anfang der Bahn auf und rollte zu unserer Parkposition.
Wir stellten den Motor ab, öffneten die Haube, entledigten uns unserer Schwimmwesten und verschachtelten den Reisemotorsegler hinter einem anderen Flugzeug, um den nächsten Piloten so viel Platz wie möglich zu lassen. In anderthalb Stunden waren wir rund 320km geflogen und landeten um 10:30 Uhr auf Helgoland. Uns hießen 8° Celsius und eine frische Seeluft willkommen.
Nun war es Zeit die beiden Inseln zu erkunden. Während wir auf die Fähre warteten, die uns von der kleineren Nebeninsel Düne zur Hauptinsel Helgoland bringen sollte, beobachteten wir die Robben am Strand. Die anfliegenden Flugzeuge und die zahlreichen Touristen mit Fotokameras schienen sie nicht zu stören.
Auf der fünfminütigen Überfahrt zur Hauptinsel wurde uns ein Grund mehr geliefert, den An- und Abflug so zu planen, dass man immer im Gleitbereich einer Insel oder des Festlandes blieb: das Meer war recht rau und die kleine Fähre schwankte ordentlich auf den Wellen.
Auf Helgoland angekommen liefen wir durch Unter- und Oberland und fanden schließlich ein nettes Fischrestaurant mit Blick aufs Meer und den Flugplatz. Anschließend gingen wir zum westlichsten Punkt der Insel, um die Felsformationen zu sehen, für die Helgoland wohl am bekanntesten ist.
Felsenkante an der Nordwestseite Helgolands
Zurück auf der Fähre zum Flugplatz checkten wir über unsere Handys nochmals die aktuellen Wind- und Wetterverhältnisse. Dass das bei diesem Wellengang nicht die beste Idee war, sollte einer von uns beiden kurz nach dem Anlegen am Dock der Nebeninsel Düne spüren.
Auf dem Fußweg zurück zum Flugplatz, der nur einige Meter an der Start- und Landebahn vorbeiführte, fiel uns ein weiteres Problem auf. Während der zweistündigen Mittagspause des Flughafens hatten sich einige Vögel auf und um die Piste herum versammelt. Diese würden für unser Flugzeug ein Problem darstellen, wenn sie uns zum Beispiel während der Startphase in den Propeller oder Haube fliegen und gar die Motorleistung beeinträchtigen.
Ein paar Minuten später wurden wir in unserer Ansicht bestärkt. Ein startender Motorsegler konnte einem Vogelschwarm nur mit Mühe ausweichen.
Wir teilten unsere Bedenken mit dem Türmer von Helgoland, doch das erhöhte Verkehrsaufkommen nach der Mittagspause blieb nicht wirkungslos. So konnten wir uns nach einem Kaffee im Flugplatzrestaurant schließlich auf die Vorbereitungen konzentrieren. Schwimmwesten wurden wieder angelegt und das Cockpit eingerichtet. Diesmal saß ich links und Konrad rechts.
Um halb vier starteten wir den Motor und rollten zur Startbahn vor. Das Vogelproblem im Hinterkopf suchten wir uns ein Zeitfenster, in dem gerade viele Flugzeuge an- und abflogen.
Wir rollten bis zum Ende der Bahn, um jeden Meter Startstrecke auszunutzen und gaben Gas. Die Piste war mit ihren 480m Länge recht kurz und der Wind, der uns in der Startphase helfen würde, war auch ein wenig eingeschlafen. Nach der Hälfte der Bahn erreichten wir 80km/h, hoben langsam ab und das Fahrwerk wurde frühzeitig eingefahren. Hätten die Instrumente zu diesem Zeitpunkt weniger als 70km/h angezeigt, hätten wir den Start sofort abgebrochen. So hatten wir es im Abflugbriefing besprochen.
In 30 Metern Höhe ging es über den Strand und im Steigflug weiter über die Nordsee der Platzrunde folgend.
Letzter Blick auf den Flugplatz Helgoland und die Nebeninsel kurz nach dem Abflug
Wir verabschiedeten uns von dem Flugleiter Helgolands, meldeten uns wieder bei den Lotsen in Bremen an und stiegen weiter in Richtung Leer Papenburg. Was für den Hinflug galt, traf bei unserem Rückflug ebenso zu. Aufgrund des starken Windes aus südlicher Richtung befanden wir uns während unseres gesamten Fluges über der Nordsee und der Deutschen Bucht im Gleitbereich von Helgoland und später dann auch im Gleitbereich des Festlandes.
Vierzig Minuten später flogen wir bereits wieder in den Anflug des Flugplatzes Leer Papenburg ein.
Nach der Landung stellten wir uns hinten an der langen Schlange für die Tankstelle an. Bei Gesprächen mit den anderen wartenden Piloten erfuhren wir, dass sich viele ebenfalls auf dem Rückflug von einer Nordseeinsel befanden und in Leer Papenburg einen Tankstopp einlegten.
Eine halbe Stunde später, die Landegebühr und Tankrechnung bezahlt, saßen wir wieder im Flugzeug; zum ersten Mal an diesem Tag ohne Schwimmwesten.
Der knapp zweistündige Rückflug nach Essen/Mülheim verlief unspektakulär. Die mittlerweile tief stehende Sonne sorgte dafür, dass wir nicht allzu viel von unserer Umgebung mitbekamen. Gut, dass die Lotsen von ‚Langen Information‘, bei denen wir uns nach dem Abflug und dem Verlassen der Flugplatzumgebung von Leer Papenburg wieder gemeldet hatten, uns mit Verkehrsinformationen unterstützten.
Wir entschieden uns in 2000 Fuß (ca. 600m) zurück zu fliegen, um den stärkeren Winden in der Höhe auszuweichen und somit die Flugzeit zu reduzieren. Zudem mussten wir vor halb neun gelandet sein, damit wir nicht in die Nacht hineinflögen. Mit genug Zeitreserve, die man bei solch längeren Trips immer einplanen sollte, landeten wir um 19:00 Uhr wieder am Flughafen Essen/Mülheim. Jetzt blieb uns nur noch, das Flugzeug zu putzen und alle Sachen wieder zu verstauen.
Bei einem anschließenden Kaltgetränk auf der Vereinsterrasse erzählten wir gerne von unserem Flug: 650 Kilometer, viereinhalb Stunden Flugzeit, ca. 50 Liter Flugbenzin – einmal Helgoland und wieder zurück.
Was ein cooler Tagestrip!